Ökumene im Gespräch mit Joop Bergsma

In gewissen zeitlichen Abständen wird ein bekannter Christ / eine bekannte Christin zu Fragen der Ökumene Stellung nehmen.

Prof. em. Dr. Joop Bergsma, (+ 8.7.2011), gebürtiger Niederländer, Promotion (1963) über „Die Reform der Messliturgie durch Johannes Bugenhagen“, einen bedeutenden deutschen Reformator und Weggefährten Martin Luthers. Dozent für Liturgik und Ökumenik am Bischöflichen Priesterseminar Hildesheim (1967-1976), Mitglied der Gemeinsamen Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland (1971-1975), Dechant des Dekanates Göttingen (1976-1986), Propst und Regionaldechant von Hannover (1986-1996), Vorsitzender der Diözesankommission zur Förderung der ökumenischen Arbeit (1986-1997), Domkapitular em., Edith-Stein-Preisträger (1997), äußert sich in einem Interview zum Thema „Ökumene“.

Die Fragen stellte Ulrike Saul am 30.7.2009 (Bergsma verstarb am 8.7.2011)

Lieber Herr Pfarrer Bergsma, Sie sind über fünfeinhalb Jahrzehnte Priester, Seelsorger, Theologe und Ökumeniker. Sie gelten als jemand, der „einen dynamischen Glauben mit Klarsicht und innerer Orientierung“ lebt, seiner Kirche in uneingeschränkter Loyalität verbunden ist, aber nicht „an genormten Gleisen“ entlangläuft, wie es ein Mitbruder von Ihnen gesagt hat. So ist es eine Freude, dass Sie zu diesem Interview zur Verfügung stehen. – Würden Sie zu Beginn ein Wort oder eine Begebenheit aus der Hl. Schrift nennen, das bzw. die für Ihr ökumenisches Bewusstsein eine existentielle Bedeutung hat?

Jesus selbst gibt im Abendmahlssaal den Auftrag zur Einheit und setzt diese Einheit als Maßstab für die Einheit seiner Jünger, also auch der heutigen Ökumene. Das „Programm“ steht im Johannes-Evangelium (17,20-23).
 In der negativen Form der Warnung steht es z.B. bei Lukas (11,17): „Jedes Reich, das in sich gespalten ist, wird veröden (…).“ Und wenn wir uns nicht leidenschaftlich bemühen in dieser Zeit, an diesem Ort, dann ist es plötzlich zu spät, weil wir sein Kommen nicht ernst genommen haben und uns gar nicht danach sehnten: „Ja, ich komme bald (…)“ (Offb 22,20).

Mit dem Pontifikat Benedikt XVI., dem ersten deutschen Papst nach 482 Jahren, war die Hoffnung verknüpft, dass dieser im Land der Reformation, seiner Heimat, konkrete Fortschritte bezüglich der Ökumene bringen würde. Doch es herrscht mittlerweile offen oder untergründig Enttäuschung und Verletzung! Was könnten Sie den Schwestern und Brüdern der evangelischen Kirchen Ermutigendes sagen?

Papst Benedikt sucht offenbar zunächst eine stärkere Verbindung mit den Ostkirchen, um dann gemeinsame Schritte auf die Kirchen der Reformation hin zu machen. Deswegen konzentriert er sich offenbar stark in Richtung des Ökumenischen Patriarchates von Konstantinopel und sucht intensiv darüber hinaus eine offene Tür in Moskau bei der Russisch-Orthodoxen Kirche. – Das ist ermutigend für geduldige Christen, römisch-katholische und reformatorische. Geduld und Leidenschaft brauchen wir zugleich.

Ich blättere mit Ihnen in Ihrer Rede zur Edith-Stein-Preisverleihung 1997. Damals haben Sie Vorschläge „Gegen alle Hoffnung voll Hoffnung!“ gemacht. Ein Vorschlag war, wie es zu einer gegenseitigen Anerkennung der Lutherischen Kirchen und der Katholischen Kirche kommen könne (Redeausschnitt hier). Zwölf Jahre sind seitdem vergangen! Stehen Sie heute noch zu Ihren Aussagen und gibt es etwas zu ergänzen oder zu korrigieren?

Ja, ich stehe voll und ganz zu diesem „Sprung über die Mauern“. Vielleicht wartet die Orthodoxie auf diese Einigung, um danach auf ihrem schon lange geplanten Pan-Orthodoxen Konzil zu einem gemeinsamen Weg mit diesen evangelisch-katholischen Kirchen einzuladen.

Sie bezeichneten in Ihrem Vortrag 1997 die deutsche Evangelisch-lutherische Kirche als „unsere Schwesterkirche“. Zehn Jahre später stellt die „Kongregation für Glaubenslehre“ in Rom in der Erklärung „ Antworten auf Fragen zu einigen Aspekten bezüglich der Lehre über die Kirche“ ausdrücklich fest, dass die „Gemeinschaften, die aus der Reformation des 16. Jahrhunderts hervorgegangen sind“ (…), „nach katholischer Lehre nicht ‚Kirchen’ im eigentlichen Sinn genannt werden“ können. Was sagen Sie zu dieser unterschiedlichen Bewertung?

 Die Katholische Kirche definiert von sich aus die anderen „Gemein-schaften“ und nennt sie erst „Kirchen“, wenn sie alle wesentlichen Eigenschaften der Katholischen Kirche haben. Das II. Vatikanische Konzil (1962-1965) hat diese Festlegung noch offen gelassen. Im Sinne der vorigen Frage bzw. Antwort kann aber der ökumenische Weg noch große Entdeckungen bei uns und bei den Schwesterkirchen bringen. Dann wird der Heilige Geist neue Konsequenzen zeigen.

Von der Kirche im Großen zur Kirche vor Ort: Für das ökumenische Miteinander von katholischen und evangelischen Nachbargemeinden ist ein vertrauensvoller Umgang notwendig. Gibt es von Ihrer Erfahrung her Regeln, die für den ökumenischen Dialog unabdingbar sind?

In Göttingen war das menschliche Miteinander der geistlichen Mitbrüder entscheidend: sowohl mit den evangelischen Nachbarn von St. Jacobi, St. Albani und der Reformierten Gemeinde wie auch auf der Ebene der Superintendenten und des Landessuperintendenten. Es gab einen ständigen Austausch der Pläne und Informationen.

Sie haben Göttingen vor 23 Jahren verlassen. Seitdem hat sich in der Stadt aus der Sicht der christlichen Konfessionen manches verändert. Nach den Zahlen aus 2008 gibt nur noch ca. 61% Christinnen und Christen, davon ca. 16 % Katholiken. Diese Zahl ist symbolisch für die Veränderungen in der bundesdeutschen Gesellschaft. Sehen Sie darin Folgen für das Miteinander der christlichen Kirchen?

Noch mehr als früher: Alles schon gemeinsam tun, was nicht unbedingt getrennt geschehen muss.

Kommen wir noch einmal auf Ihre Göttinger Zeit zurück: Gab es damals ein „ökumenisches Ereignis“, das Sie besonders berührt hat?

Ja, die Leitungen der Kirchen haben sich mit Oberbürgermeister und Referenten der Stadt Göttingen in Bursfelde getroffen, der ehemaligen  Benediktinerabtei und dem damaligen Einkehr- und Tagungshaus der evangelischen Kirche, einschließlich Übernachtung. Danach gab es ein ganz  neues Miteinander für das Wohl der Stadt.

Und zum Schluss: Welches ökumenische Wort, Zitat oder Gebet schenken Sie Christinnen und Christen in der Region Göttingen?

Das Wort Jesu: „(…) Ich aber bin unter euch wie der, der bedient“ (Lk 22,27). Das gilt für die eigene Gemeinde, für den ökumenischen Weg, für Dialog und Begegnung mit den Religionen wie auch mit den „Ganz-anders-Denkenden“.

Herr Pfarrer Bergsma, vielen Dank für Ihre Gedanken, die ihre Wurzeln haben in der Weisheit eines langen, von Gott geprägten Lebens!

Dr. Joop Bergsma: Zur gegenseitigen Anerkennung der Lutherischen Kirchen und der Katholischen Kirche: