Ökumene im Gespräch mit Prälat Dr. Dr. h.c. Klaus Wyrwoll

In gewissen zeitlichen Abständen wird ein bekannter Christ / eine bekannte Christin zu Fragen der Ökumene Stellung nehmen.

Prälat Dr. Dr. h.c. Klaus Wyrwoll wurde 1938 in Beuthen/Oberschlesien geboren und wuchs nach dem Krieg in Wunstorf bei Hannover auf. In Münster und Rom, wo er 1962 zum Priester geweiht wurde, studierte er Theologie. 1965 promovierte Wyrwoll an der Päpstlichen Universität Gregoriana zum Doktor der Theologie.

Bis 1976 war er in verschiedenen Gemeinden des Bistums Hildesheim und am St. Jakobushaus, der Akademie der Diözese Hildesheim in Goslar, tätig. 1976 bis 1982 arbeitete Wyrwoll im Vatikan im Rat für die Einheit der Christen mit. 1982 kam er in das Bistum Hildesheim zurück und leitete das Katholische Büro in Hannover. 1986 bis 1988 war Prälat Wyrwoll Pfarrer und Dechant in Göttingen.

Seit Oktober 1990 ist er stellvertretender Leiter des Ostkirchlichen Instituts in Regensburg. In Anerkennung seines Einsatzes für die Einheit der Christen wurde Prälat Wyrwoll im November 2004 das Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland verliehen. Der „Diözesanbeauftragte für die Kontakte mit den Kirchen des Ostens“ und schließlich seit 2007 „Bischöflicher Beauftragter für Ökumene im Bistum Hildesheim“ ist 2008 zum vierten Mal als Berater in den „Päpstlichen Rat zur Förderung der Einheit der Christen“ berufen worden.

Lieber Herr Prälat Wyrwoll, die religiöse Sozialisation heute verläuft anders als vermutlich zu Ihrer Kinder- und Jugendzeit. Wie sind Sie persönlich mit dem christlichen Glauben und mit „Ihrer Kirche“ in Kontakt gekommen?

Für uns kleine Ministranten war Schwester Abelina die Trägerin der Verkündigung, durch sie wuchs mein Glaube. Schwesterstationen waren damals in alle Pfarreien, sie machten die Gemeinden lebendig. Heute meint man, es gäbe Priestermangel.

Gehen wir viele Jahre weiter: Was ist Ihnen aus Ihrer Zeit als Dechant in Göttingen „ökumenisch“ in Erinnerung?

Am häufigsten erzähle ich, dass die drei Superintendenten und ich vereinbarten, dass ab sofort eine Trauung auch dann ökumenisch ist, wenn nur ein Pastor dabei ist, nicht ein evangelischer und ein katholischer. Mittlerweile sei die gegenseitige Anerkennung so selbstverständlich, dass eine doppelte Anwesenheit nicht mehr als Zeichen der Einheit notwendig sei. Leider mussten wir das wieder aufgeben und wieder zu zweit auftreten; in den Gemeinden war das Einheitsbewusstsein noch nicht so selbstverständlich wie zwischen uns Geistlichen.

Ihre vielseitigen Beauftragungen lassen darauf schließen, dass Sie ein Mann mit „Einblick in weltkirchliche Zusammenhänge“ sind. Das Bemühen der Katholischen Kirche um die Einheit der Christen steht im Spannungsfeld von einerseits Orthodoxie und andererseits lutherischen Kirchen. Wie kann da „sichtbare Einheit“ gefunden werden?

Zwischen der östlichen und der westlichen Form des Kircheseins – wir sagen heute „zwischen orthodoxen und katholischen Christen“ – muss die Einheit wieder erkannt werden. Zwischen den beiden westlichen Formen des Kircheseins „lutherisch“ und „katholisch“ muss die Einheit wieder hergestellt werden.

Ost und West sind seit der Zeit der Apostel völlig eigenständige und in den Formen völlig unterschiedliche Kirchen: assyrisch, armenisch, syrisch, koptisch, byzantinisch, lateinisch – im Bewusstsein, die eine Kirche in der Vollzahl der Sakramente zu sein. Dieses Bewusstsein ging im Laufe der Jahrhunderte verloren, weil man gerade im Westen bestimmte Zeichen für heilsnotwendig hielt. Im Zweiten Vatikanischen Konzil und in der Erklärung "Dominus Deus" wurde wieder feierlich bestätigt, dass die östlichen Bistümer genauso „echte Teilkirchen“ sind wie die westlichen.

Ganz anders das Verhältnis der lutherischen Kirchen: Nach drei Vierteln unserer gemeinsamen westlichen Kirchenform entschieden sie nach 1500, dass zu viel Tradition überliefert worden ist: Z.B. reichen zwei Sakramente statt sieben. Hier braucht sichtbare Einheit also geduldiges Suchen, ob nicht auch die ganze Tradition lutherisch verstanden werden kann und damit die Einheit wieder sichtbar wird.

Benedikt XVI. versucht die Piusbrüder in die Gemeinschaft der Katholischen Kirche zurückzuholen. Wenn der Papst, ein Deutscher, mit solcher Großzügigkeit eine Gruppe auf der einen Seite zu integrieren versucht, warum bringt er auf der anderen Seite, so wirkt es, nicht die gleiche Haltung für die Ökumene mit den lutherischen Kirchen auf?

Das scheint mir tatsächlich ein deutsches Problem der Wahrnehmung zu sein. Als wir jüngst das Evangelium vom Unkraut und vom Weizen lasen, fiel mir wieder ein, dass gelegentlich in einer hl. Messe mit vielen ökumenischen Gästen vor der hl. Kommunion der Gemeinde gesagt wird, dass Nichtkatholiken nicht die hl. Kommunion empfangen sollen. Mir scheint, es ist besser, nichts zu sagen. Eine Einladung wie in evangelischen oder orthodoxen Liturgien steht ohnehin nicht in unserer Ordnung der hl. Messe.

Es gibt sicher gute Gründe für so ausschließende Ansagen, die nach den örtlichen Umständen sehr verschieden sein können. Insgesamt hätte ich Bedenken, so eine Ansage zu machen, da es sein könnte, dass ein Nichtkatholik dabei ist, der nach unserer Rechtslage durchaus mit den Katholiken zur hl. Kommunion gehen kann. Seit dem Kirchentag in Berlin entsteht das Gerücht, die Bestimmungen der Katholischen Kirche zum Kommunionempfang sich verändert hätten und schlössen Nichtkatholiken aus.

Es hat sich nichts geändert. Weiter können Nichtkatholiken unter bestimmten Umständen bei uns kommunizieren. Es gelten Canon 844 unseres Codex Juris Canonici, Canon 621 des katholischen Kodex des östlichen Kirchenrechtes, Nr. 129 des Direktoriums zur Ausführung der Prinzipien und Normen über den Ökumenismus, und die Nummern 45 und 46 der Enzyklika "Ecclesia de Eucharistia", wo der Papst meint, es sei ein Grund zur Freude, dass katholische Priester gelegentlich auch anderen Christen die hl. Kommunion spenden.

Zu meinen kurzen Zeilen zu dieser Frage ermutigt mich, was Papst Benedikt zur Aufhebung der Exkommunikation der "Piusbrüder" schreibt. Offenbar kann also auch zur communio zugelassen werden, wer erhebliche Teile der katholischen Wahrheit nicht akzeptiert und uns sogar vorwirft, wir hätten die alte Tradition verlassen. Also sind auch Bewegungen wie die von Dr. Knoch in Hannover und entsprechende Gruppen im lutherischen Bereich zur Communio zugelassen.

Die fehlende Einheit hat gerade im persönlichsten Bereich ihre Auswirkung: in Ehe, Familie und Freundschaft. Mir scheint, dass die seit Jahren ausstehende theologische und pastorale Lösung der Abendmahlsfrage für konfessionsverschiedene Ehen Entwicklungen in zwei Richtungen verursacht hat: Menschen wenden sich von ihrer Kirche ab oder sie folgen ihrem Gewissen und treffen ihre Entscheidungen, die in Diskrepanz zu lehramtlichen Vorgaben stehen können. Was sagen Sie als Seelsorger dazu?

Theologisch und pastoral scheint mir das Problem theoretisch gelöst. Schon das Ergebnis der allerersten Fünfjahresrunde des lutherisch-katholischen Dialogs, das „Maltapapier“ kommt zu dem Schluss „die theologischen Unterschiede rechtfertigen eine Kirchentrennung nicht“. Die Lösung muss also im einzelnen Gewissen gefunden werden. Dazu versuche ich als Seelsorger zu ermutigen.

Stellen wir uns gemeinsam vor, es sei Ihnen vergönnt, Reformator unserer Katholischen Kirche zu sein. Ihre Aufgabe: „Vorschläge für Veränderungen in der Katholischen Kirche zur Beschleunigung des Einheitsprozesses mit den Lutherischen Kirchen“.

Genau mit dieser Themenstellung habe ich am Reformationstag 2007 in der lutherischen St. Nikolaj-Kirche in Lüneburg gepredigt. Die Predigt ist auf meiner Homepage "Ostkirchliches Institut" zu finden. Ich kann freilich katholischer Reformator nur in Deutschland sein. Ein deutscher Katholik kann nur in den katholischen Kirchen in Deutschland wirklich Reformator sein, meine Predigt gilt nur im deutschen Denken und Fühlen.

Das ist die einschneidende Erfahrung, die wir auf dem Romseminar machen. Das Romseminar ist eine Woche in Rom in vielen Gesprächen mit den international wirkenden Orden, mit den Ämtern des Heiligen Stuhls, "des Vatikan", wie wir heute sagen. Die Erfahrung: Wir deutschen Katholiken sind ja nur 2 % der katholischen Frauen und Männer auf dem Erdball! Es gibt noch 98 % Katholiken, die ganz anders denken und fühlen, oft gegensätzlich zu unseren deutschen Selbstverständlichkeiten, mit ganz anderen Sorgen und Plänen. Gerade im Bereich dieser Erfahrung ist Reformation in den katholischen Kirchen in Deutschland nötig.

Wir Deutschen sind geneigt, alles nach unserem deutschen Wesen zu hören und zu beurteilen und die katholische Welt-Kirche als eine wenn auch recht große Konfession oder Landeskirche zu sehen. In Wirklichkeit ist die katholische Welt-Kirche nicht eine Konfession, sondern eine Gemeinschaft von Kirchen, von Schwesterkirchen, ein ökumenischer Rat von einigen tausend Mitgliedskirchen in aller Welt, Bistümern, Orden. Eben "allgemein" – so übersetzt man "katholisch". Kardinal Joseph Ratzinger hat den Deutschen im Herbst 2000 in einem Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung FAZ darum vorgeschlagen, wir sollten mal einige Jahre nicht sagen "die katholische Kirche" im Singular, sondern "die katholischen Kirchen" im Plural, eben all die Kirchen, die sich allgemein als echte Teilkirchen anerkennen, obwohl sie oft so unterschiedlich wirken. Wir haben eine unterschiedliche katholische oder lutherische theologische Sprache und definieren den Begriff "Kirche" unterschiedlich. Die ökumenische Zusammenarbeit wird intensiver, wenn wir akzeptieren, dass wir unterschiedlich sprechen, hat unser Hildesheimer Weihbischof Nikolaus Schwerdtfeger am 24. Oktober 2007 in Goslar der Generalsynode der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands VELKD gesagt.

Wir Deutschen haben offenbar eine Sonderstellung im Verstehen oder Miss-Verstehen. Ich erinnere mich eine der sogenannten Mittwochs-Audienzen – also diese ökumenische Andacht auf dem Petersplatz. Mit dem Ephorenkonvent des Sprengels Lüneburg war ich vor acht Jahren in Rom, Johannes Paul II. legte 1999 jeden Mittwoch einen Psalm aus, und an dem Mittwoch zitierte er Martin Luther, der diesen Psalm am besten ausgelegt habe. Der Papst selber hat das auf Italienisch gesagt, in den danach vorgelesenen kurzen Zusammenfassungen auf Englisch, Französisch, Spanisch war das Zitat von Martin Luther ebenfalls – aber in der deutschen Zusammenfassung nicht, und auch nicht in der deutschen Übersetzung der ganzen italienischen Predigt in der deutschsprachigen Ausgabe des Osservatore Romano... Bei den verantwortlichen deutschsprachigen Mitarbeitern im Vatikan habe ich bei der Gelegenheit Reformation versucht, bin aber gescheitert.

Wie ich schon vor zwanzig Jahren als Reformator gescheitert bin, als ich in Genf die Erste Europäische Ökumenische Versammlung in Basel Pfingsten 1989 vorbereitete. Ich wollte die Versammlung abschließen mit einem großen ökumenischen Gottesdienst am Sonntagvormittag. Alle Delegationen aus Europa waren einverstanden. Nur die deutschen katholischen Verantwortlichen waren dagegen, es müsse unbedingt hl. Messe am Sonntagmorgen sein. Und sie bekräftigten ihr Veto mit dem Hinweis, sie würden alle Zuschüsse für die Erste Europäische Ökumenische Versammlung in Basel streichen, wenn ich dem deutschen Wunsch nicht folge. Die ganze bunte Gemeinschaft von katholischen Kirchen, die wir Katholische Kirche nennen, musste dann dem Wunsch der 2 % deutschen Katholiken folgen. Die allen zugesandte Probefassung des Ökumenischen Direktoriums von 1993 hatte die Formulierung "Ökumenische Gottesdienste sind zu empfehlen, besonders am Sonntagvormittag". In der endgültigen Fassung heißt es jetzt: "Ökumenische Gottesdienst sind zu empfehlen, aber nicht am Sonntagvormittag". Auch hier versuche ich immer noch, Reformator zu sein.

Die so umstrittenen Fünf Antworten vom 10.7.2007 aus der Kongregation für die Glaubenslehre in Rom zeigen deutlich, dass alles katholisch ist, was wir Katholiken in den lutherischen Kirchen finden, auch in den deutschen Varianten des Luthertums.

Zum Schluss: Welches Wort oder Zitat schenken Sie Christinnen und Christen in der Region Göttingen?
Gottes ist der Orient,
Gottes ist der Okzident,
nörd- und südliches Gelände
ruhen im Frieden seiner Hände.

Die Fragen stellte Ulrike Saul im September 2009.