Sie fühlt sich berufen

Sie arbeitete als Gemeindereferentin, Leiterin der Familienbildungsstätte in Duderstadt, als Altenheimseelsorgerin in Göttingen und als Frauenseelsorgerin im Untereichsfeld. Würde die Kirche ihre Berufung anerkennen, hätte sich Beatrix Michels längst zur Priesterin weihen lassen.

Einen Höhepunkt ihrer Berufung erlebte Beatrix Michels erst vor wenigen Wochen. Kaum war die mittlerweile 66-Jährige in den offiziellen Ruhestand als Dekanatsfrauenseelsorgerin eingetreten, durfte sie endlich predigen. Nicht irgendwo, sondern im 95. Jahr der Frauenwallfahrt 2021 in Maria in der Wiese im Untereichsfeld. „Das war immer mein Ziel als Frauenseelsorgerin“, sagt sie selbstbewusst.

Für Michels war es ein langer Weg, ein Weg mit der ein oder anderen unerwarteten Kehre, vergleichbar mit dem Weg in einem Labyrinth: Nicht auf einen Blick überschaubar, mit überraschenden Wendungen, aber mit deutlichem Zentrum. Und mit Wurzeln, denn ein Konfessionswechsel kam für sie nie in Frage: „Ich komme aus einer kofessionsverbindenden Familie, mein Vater war tiefgläubig, zugleich kirchenkritisch, das prägt.“

Immer Seelsorgerin, auch ohne Weihe

Aufgewachsen und zur Schule gegangen ist Michels in Kleve am Niederrhein. Mit 20 Jahren war sie von der Jugendarbeit der Benediktinerabtei Gerleve bei Münster so angetan, dass sie sich für den Beruf der Gemeindereferentin interessierte. „Schon damals spürte ich die Berufung zur Priesterin“, sagt sie rückblickend. Zunächst studiert sie Mitte der 1970er Jahre Religionspädagogik in Paderborn, voller Optimismus, es könne mit der eigentlichen Berufung noch etwas werden. In der katholischen Kirche herrschte die Aufbruchstimmung des Zweiten Vatikanischen Konzils, die Weihe für Frauen schien naheliegend. „In zwei Jahren haben wir den Diakonat der Frau“, hieß es.

Doch es kam anderes, Michels ging nach dem Studium als Gemeindereferentin nach Hannover. „Seelsorge ist nicht von der Fachbezeichnung abhängig, sondern hat etwas mit dem Herzen zu tun“, sagt sie. Auch ohne Weihe wirkt sie zum Wohl der Menschen in den Gemeinden, predigen gehörte regelmäßig dazu. „Das war bis Mitte der 80er Jahre noch möglich“, erzählt sie. Und: „Ich war immer Seelsorgerin, auch ohne geweiht zu sein.“ 

Am meisten bedauert Michels, dass sie die Sakramente nicht spenden darf. In der Seelsorge sei das besonders wichtig. „Viele meinen, die Frauenweihe würde wegen einer damit verbundenen Macht gefordert. Es geht mir und anderen Frauen aber darum, Menschen zu begleiten, auch durch die Zuwendung der Sakramente“, erklärt Michels. Es habe sie immer geschmerzt, denjenigen, die im seelsorglichen Gespräch das eigene Tun bereut haben und auf Vergebung hofften, an den nächsten Priester verweisen zu müssen. „Das Beichtgespräch ist dann ja eigentlich gelaufen, aber wenn Menschen aus ihrem Glauben heraus die Zusage Gottes durch das Sakrament wünschen, müssen sie noch zum Priester gehen“, erklärt Michels. Sie fühle sich selbst von Gott zur Priesterin berufen, was ihr und anderen die Kirche aber nur deswegen abspreche, weil sie Frauen seien: „Was da unserer Kirche an Potenzial verloren geht, ist unglaublich!“ 

Nach einigen Jahren als Gemeindereferentin spürte sich Michels hingezogen zu den Missionarinnen der Nächstenliebe, dem Orden, den Mutter Teresa in Kalkutta gegründet hatte. Sie nahm Kontakt auf und bereitete sich in Essen auf ihren Einsatz vor. Wieder hatte sie nicht mit der nächsten Kehre im Labyrinth des Lebens gerechnet. Ein – wie sich später herausstellte falscher – Verdacht auf eine chronische Erkrankung verhinderte ihren Eintritt in den Orden.

1987, mit 32 Jahren, übertrug ihr das Bistum Hildesheim die Leitung der neu zu gründenden Katholischen Familienbildungsstätte in Duderstadt. Schon nach kurzer Zeit hatte sie nicht nur die alten Räume eines Jungenkonvikts für den neuen Zweck herrichten lassen, sondern bot auch ein umfangreiches Programm an. Bis zur nächsten Kehre im Labyrinth dauerte es zwar fast zwei Jahrzehnte, aber sie kam unweigerlich, als das Bistum die Finanzen zusammenstrich und die Familienbildungsstätte von einem privaten Trägerverein übernommen werden musste. 

Predigt als krönender Abschluss

Seit 2006 arbeitete Michels in Göttingen als Altenheimseelsorgerin. Dabei konnte sie freier als jemals zuvor Gottesdienste vorbereiten, sogar liturgisch konzipieren. „Es sollten neue Wege in der Altenheimseelsorge beschritten werden, nicht nur für katholische Gläubige, sondern für alle Menschen“, beschreibt Michels ihre Aufgabe. Mit großer Leidenschaft hat sie beispielsweise einen Leitfaden für Demenzgottesdienste entwickelt und gemeinsam mit einem evangelischen Kollegen ehrenamtliche Gottesdienstleitungen ausgebildet.

Die bischöfliche Beauftragung als Frauenseelsorgerin im Untereichsfeld kam erst 2012 hinzu. Immerhin hatten die Frauen aus den Frauenverbänden genügend Druck gemacht, damit endlich eine Frau die Aufgabe bekam und kein Priester mehr, schildert Michels die Situation. Bei der Frauenwallfahrt erhielt sie vom damaligen Propst einen persönlichen Segen. „Das war ein bewegender Moment, innerlich fühlte es sich wie eine Weihe an“, sagt Michels. Es sei das erste Mal gewesen, dass ihr offiziell zugesagt wurde, befähigt, ja berufen zu sein. „An der Stelle hat mir immer die Seele geblutet“, sagt die Seelsorgerin. Die eigene Predigt neun Jahre später an gleicher Stelle, sei nun der krönende Abschluss gewesen.

Johannes Broermann / kiz

  • Zur Sache
    Der Labyrinthverein Duderstadt e.V., in dem sich Beatrix Michels engagiert, besteht seit 2019 und möchte ein öffentlich zugängliches, dauerhaft angelegtes Labyrinth errichten. Mit über 30 Metern Durchmesser sollen seine Wege auch Rollstühlen und Kinderwägen genügend Platz bieten. Der Verein möchte damit einen „Begegnungsraum“ schaffen für „Menschen unterschiedlichen Alters, unterschiedlicher Einschränkungen, unterschiedlicher Religionen und Weltanschauungen“. (job)

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