Eine Ära geht zu Ende

Die Vinzentinerinnen verlassen das Krankenhaus Neu-Mariahilf

Auf einem Tisch stehen die Formen für die Osterlämmer, die die Schwestern jedes Jahr gebacken haben. Auf dem nächsten Tisch der Weihnachtsschmuck. Dann die schweren Kruzifixe, die früher in den Patientenzimmern hingen. Gegen eine Spende für das Krankenhaus Neu-Mariahilf kann sich jeder Besucher etwas mitnehmen. Schwester Theophila, Schwester Raphaele und Schwester Andrea lösen ihren Haushalt auf. Nach 147 Jahren verlassen die Vinzentinerinnen Göttingen. 1865 kamen die ersten beiden Schwestern in die Stadt, um für die Armen und Kranken da zu sein. 1879 gründete die „Kongregation der Barmherzigen Schwestern vom heiligen Vinzenz von Paul in Hildesheim“ dann das Krankenhaus Mariahilf: Zunächst in der Innenstadt, 1896 dann am heutigen Standort zwischen Humboldtallee und Waldweg. Schwester Theophila, die Oberin des Konventes, hat die Klinik bis 2004 geleitet. 18 Jahre hat sie hier gelebt und gearbeitet. Mehr noch: „Das Haus ist ganz eng mit meinem Berufungsweg, der mich 1955 in den Orden geführt hat, verbunden“, erinnert sie sich.


„Für unseren Orden ist es eine ganz neue Situation, Konvente aufzulösen“, erklärt die Oberin. 2011 geschah es in Braunschweig und Salzgitter, jetzt Göttingen. Schwester Theophila (78) und Schwester Raphaele (84) werden nach Duderstadt in das Krankenhaus und Altenpflegeheim St. Martini wechseln. Auch hier werden sie in der Seelsorge aktiv sein, doch nur noch in Teilzeit. Vom Ruhestand kann nicht die Rede sein, stellen sie klar, aber die Schwestern werden es gelassener angehen lassen. Schwester Andrea, mit 72 Jahren die Jüngste im Konvent, übernimmt noch einmal eine neue Aufgabe in Hannover. Im Haus Katharina kann sie ihre breit gefächerten Qualifikationen einbringen. Die gelernte Hauswirtschafterin und Krankenschwester wird sich um kranke und pflegebedürftige Mitschwestern kümmern, mit ihnen backen und den Alltag gestalten. Dechant Wigbert Schwarze arbeitet derzeit zusammen mit der Bistumsleitung daran, die Seelsorge in Neu-Mariahilf neu zu regeln. „Jeder Christ verändert die Welt“, kommentiert er mit Adolf Kolping. „Die Schwestern haben sie hier verändert – und wie!“


„Seelsorge beginnt hier schon mit der Aufnahme“, erklärt Schwester Theophila. Schwester Andrea ist von acht Uhr morgens an in der Aufnahme präsent und begleitet die Patienten in der kritischen Situation, die eine Einweisung ins Krankenhaus bedeutet. Schwester Raphaele und Schwester Theophila beten mit den Kranken, die dies wünschen. Mit viel Fingerspitzengefühl sorgen sie dafür, dass sie die Sakramente erhalten, die die Kirche Menschen in schweren Lebenslagen anbietet. Als Hauswirtschafterin hat Schwester Andrea auch ganz praktische Dinge im Blick: Sie sorgt für die Wäsche und die Pflanzen im Haus. Die Kapelle ist nicht nur eine Anlaufstelle für die Patienten, sondern auch für die Gemeinde St. Paulus, die hier regelmäßig Gottesdienst feiert. Schwester Theophila schreibt hier die Namen aller Verstorbenen in Neu-Mariahilf auf Blätter an einem Baum aus Papier. Die Namen der Neugeborenen stehen auf bunten Schleifen, die wie Kometenschweife an Papiersternen hängen.
Wer die Schwestern in ihrem Zuhause besucht, sieht auf dem ersten Blick, wie verbunden sie mit dem Haus sind. Der Grundriss ihrer Wohnung unterscheidet sich nicht von einem normalen Stationsflur. Der Weg zu ihnen führt durch alle Höhen und Tiefen, die der Krankenhausalltag mit sich bringt: Vorbei an einem jungen Vater, der über den Schlaf seines Neugeborenen wacht. Vorbei an den Räumen, in denen Krebspatienten ihre Chemotherapie erhalten, aufmerksam begleitet von den Schwestern. Im Oktober geht diese Ära zu Ende. Am Freitag, 28. September um 11 Uhr werden die Schwestern im Krankenhaus verabschiedet. Am Sonntag, 21. Oktober ab 10 Uhr gibt es dann noch einmal in der Pfarrei St. Paulus die Gelegenheit, persönlich von den Schwestern Abschied zu nehmen.