„Eine mittlere Katastrophe“

Sie haben Patienten aufgeheitert, Essen auf Rädern gebracht oder Kinder betreut: die Zivildienstleistenden. Vom 1. Juli an sind die Zivis Geschichte. Freiwillige sollen nun ihre Lücke füllen. Doch Wohlfahrtsverbände sind skeptisch.

Duderstadt / Göttingen (kpg) – Noch hat der Caritasverband für Stadt und Landkreis Göttingen einen Zivildienstleistenden: Michael Freckmann, 20 Jahre alt. Am 8. Juli ist aber auch sein letzter Tag. Neun Monate hat er im Caritas-Centrum in Duderstadt gearbeitet, sechs hätte er nur gemusst. „Es hat mir wirklich gefallen“, sagt er. „Die Zeit hat mir viel mehr gebracht als ich zu Anfang erwartet hatte. Ich gehe ganz anders mit alten und kranken Menschen um – und ich habe jetzt großen Respekt vor allen Mitarbeitern in der Altenpflege.“

Freckmann war der klassische Zivi, der überall ausgeholfen hat, wo es nötig war: Er hat Seniorinnen und Senioren Essen auf Rädern gebracht, in der Sozialstation ausgeholfen, Büroarbeiten übernommen oder den Fahrdienst für die ambulanten Gruppenangebote des Caritasverbandes. „Ich hatte auch mal Zeit, mit den Alten über Alltägliches zu reden. Viele sind jetzt schon traurig, dass bald kein Zivi mehr kommt.“ Die Entscheidung, Zivildienst zu leisten, hat seine Oma beeinflusst: „Die wurde auch vom Caritasverband gepflegt“.

Kein Freiwilliger in Sicht

Etwa 250 Zivildienstleistende waren in den vergangenen 30 Jahren für den Caritasverband in Stadt und Landkreis Göttingen tätig. Dass ihre Ära nun endet, ist für Caritas-Vorstand Bertil Holst „eine mittlere Katastrophe“. Für ihn war der Zivildienst eine Einrichtung, von der beide Seiten profitieren konnten: „Wir verlieren zuverlässige und gute Leute. Und für die jungen Männer war es eine gute Möglichkeit, Arbeitstugenden zu erlernen und bei uns eine ganz neue Welt kennen zu lernen. In dem Alter mit schwer kranken und alten Menschen und deren Lebenssituationen konfrontiert zu werden, ist nicht selbstverständlich und eine große Leistung“, so Holst.

Neun Zivistellen hatte der Caritasverband in Göttingen bislang, fünf sind mittlerweile mit jungen Erwachsenen besetzt, die ein Freiwilliges Soziales Jahr, FSJ, leisten. Dass er die Lücke, die die Zivildienstleistenden nun hinterlassen, dauerhaft mit Freiwilligen füllen kann, daran glaubt Holst nicht, auch in den Bundesfreiwilligendienst, der offen ist für alle ab 18 Jahren, setzt er keine Hoffnung: „Wir haben bis heute keine einzige Anmeldung bei unserem Bonus-Freiwilligenzentrum für diesen Dienst.“

Ähnlich skeptisch ist Michael Reimann, Geschäftsführer des Caritas Seniorenstiftes in Göttingen. „Die Zivis können durch den Freiwilligendienst nicht ersetzt werden“, ist er überzeugt. Und auch Ralf Reinke, Leiter des katholischen Mittagstischs St. Michael in Göttingen, steht vor einem Dilemma. „Schon die Verkürzung des Zivildienstes auf sechs Monate war für uns ein Problem. Und darauf, dass für den Bundesfreiwilligendienst funktionierende Strukturen entstehen, können wir nicht warten.“ Der Förderverein des Mittagstisches hat nun zusätzlich eine geringfügig Beschäftigte eingestellt. Gleichzeitig setzt der Mittagstisch auf Ehrenamtliche: „Aber auch die können den Zivi nicht ersetzen. Es ist sogar im Gegenteil so, dass wir immer wieder Ehrenamtliche vertreten müssen, um 365 Tage im Jahr unser Angebot machen zu können.“

Zwei Wochen noch wird Michael Freckmann den Seniorinnen und Senioren in und um Duderstadt Essen auf Rädern bringen, danach möchte er ein Studium beginnen. „Es wäre besser gewesen den Dienst nicht abzuschaffen“, meint er. „Denn wenn man nicht die Pflicht hat, dann macht man´s nicht.“