„Es wäre sonst ziemlich leer hier“

Studierende der Hochschulgemeinde Göttingen engagieren sich im Gefängnis

Göttingen (kpg) – Nach und nach trudeln die jungen Männer ein, versammeln sich um den großen runden Tisch. Um kurz nach 18 Uhr beginnt die Redaktionskonferenz im Computerraum des offenen Jugendvollzugs am Leineberg in Göttingen.

Matthias Moog und Maria Pongratz haben schon gewartet. Beide sind kaum älter als die Jugendlichen. Moog und Pongratz studieren an der Universität Göttingen und engagieren sich ehrenamtlich im so genannten „Arbeitskreis Knast“ der katholischen Hochschulgemeinde. Moog geht seit neun Monaten jeden Montag in den offenen Vollzug, Pongratz seit eineinhalb Jahren. Beide haben sich ganz bewusst dafür entschieden, einen Teil ihrer Freizeit mit jugendlichen Strafgefangenen zu verbringen. „Für mich ist es die Möglichkeit, die im Neuen Testament beschriebene christliche Nächstenliebe konkret auszuleben – und zwar an einer von der Gesellschaft ausgeschlossenen Gruppe“, sagt der 24-Jährige, der gerade sein Lehramtsstudium in den Fächern Religion und Französisch abschließt. „Es ist eine Zielgruppe, mit der man sonst nicht so viel zu tun hat“, ergänzt Pongratz, die eine Abwechslung zur Theorie ihres Psychologiestudiums gesucht hat. „Das hat mich schon gereizt. Mit Jugendlichen zu arbeiten kannte ich schon, also habe ich mir gedacht: Probier´s einfach.“

Ein Versuch, der bei den Jugendlichen ankommt. Mit großem Eifer sitzen sie am Tisch, sammeln Themen für die nächste Ausgabe der hausinternen Zeitung und hören aufmerksam zu, wenn die Studierenden ihnen erzählen, was ein gutes Interview ausmacht. Anschließend geht es an die Computer, um Ideen auszuformulieren. „Ich find´s echt interessant“, sagt der 19-jährige Dennis. „Sport ist nicht so mein Ding, deshalb habe ich mich für die Zeitungsgruppe entschieden. Und die Studenten machen echt viel mit uns. Es wäre sonst ziemlich leer hier.“

Seit 30 Jahren gibt es den „AK Knast“ bereits, weiß Daniela Ramb, pädagogische Mitarbeiterin der Hochschulgemeinde. Anfangs sind Studierende einmal im Monat in den Jugendvollzug nach Hameln gefahren, später dann einmal in der Woche in die Haftanstalt in Göttingen – heute in Rosdorf –, um dort Inhaftierte in der Untersuchungshaft und der Strafhaft zu besuchen. Mittlerweile gibt es wöchentliche Teestunden und Sportgruppen, die Zeitungsgruppe im offenen Vollzug, eine Ehrenamtliche hat eine Suchtberatung organisiert. Auch weitere Ideen gibt es schon. Ramb denkt an einen Chor, den Ehrenamtliche auf die Beine stellen könnten. „Für die Inhaftierten ist es das Highlight in der Woche“, weiß Ramb aus vielen Gesprächen. „Dazu muss man wissen: Inhaftierte im geschlossenen Vollzug bekommen nur eine Stunde im Monat Besuch. Mehr Austauschmöglichkeiten haben sie nicht. Aber Menschen müssen die Möglichkeit haben, sich auszutauschen. Wenn man so isoliert ist, wird man ja alles andere als sozialtauglich.“

Sozialtauglichkeit aufzubauen ist auch das Ziel des Freizeitangebotes im offenen Jugendvollzug. „Die Jugendlichen hier haben ihre Straftaten in der Freizeit begangen. Also müssen wir fragen: Wie können sie ihre Freizeit sinnvoll gestalten?“, so Siegfried Löprick. Er ist am Leineberg verantwortlich für den Bereich Sport und Freizeit. So wolle der offene Jugendvollzug die jungen Männer, die allesamt zum ersten Mal straffällig geworden sind, auf die Zeit nach der Haft vorbereiten – und zwar nicht, indem sie ihre Strafe absitzen, sondern durch gezielte Angebote im sportlichen, handwerklichen oder gesellschaftlich-politischen Bereich wie der Zeitungsgruppe. Und durch den kontinuierlichen Einsatz der Studierenden erführen die jungen Erwachsenen oft zum ersten Mal so etwas wie Verlässlichkeit durch andere. Denn jeder Ehrenamtliche muss sich für mindestens ein Jahr verpflichten, beim AK Knast mitzuarbeiten. „Die Jugendlichen merken, da kommen Menschen ‚von draußen‘, die sich einbringen – und die völlig unvoreingenommen auch ein Stück helfen können, wenn Jugendliche sehr ernsthaft sagen: Ich will meine Lebenswelt mal kritisch betrachten. Und da sind ehrenamtliche Mitarbeiter wie die, die auch noch über einen langen Zeitraum hier sind, eine echte Bereicherung“, so Löprick.

Eine Bereicherung allerdings nicht nur für die Jugendlichen, so empfinden auch die Studierenden ihren Einsatz. „Ich bin wesentlich tougher geworden“, sagt Maria. „Am Anfang war ich noch ein bisschen vorsichtig, wusste nicht, wie ich mit den Jungs umgehen soll. Aber das lernt man mit der Zeit. Ich finde: Man wächst auch persönlich an so einer Aufgabe.“


Infokasten Offener Jugendvollzug:

Die Abteilung Offener Jugendvollzug Göttingen ist die offene Einrichtung des Landes Niedersachsen für jugendliche und heranwachsende Männer, die erstmals eine Jugendstrafe verbüßen und für den offenen Vollzug geeignet sind. Die zu verbüßende Haftstrafe darf die Dauer von drei Jahren und sechs Monaten nicht überschreiten. Es stehen 125 Haftplätze zur Verfügung. Das Gelände des offenen Jugendvollzugs ist 16 Hektar groß, nicht von Mauern umschlossen und auch nicht von vergitterten Fenstern geprägt. Auf dem Gelände befinden sich die Vollzugsabteilungen, das Schulgebäude, die Werkhalle mit Ausbildungswerkstätten und Gärtnerei, das Sport- und Freizeitzentrum, eine Turnhalle, eine Gymnastikhalle und weitere Nebengebäude. Siegfried Löprick, verantwortlich für die Bereiche Sport und Freizeitgestaltung, sagt: „Offener Jugendvollzug heißt, sich jeden Tag neu zu entscheiden, nicht abzuhauen.“