„Ich wurde nicht geliebt“

Die ehemalige Bundestagspräsidentin Prof. Dr. Rita Süssmuth wurde mit dem Göttinger Edith-Stein-Preis ausgezeichnet

 

„Heute ist ein Höhepunkt in meinem persönlichen, privaten und politischen Leben“, sagte eine sichtlich bewegte Rita Süssmuth. Für ihr Engagement für die Gleichstellung von Frauen und Männern erhielt die ehemalige Bundestagspräsidentin am Sonntag den Göttinger Edith-Stein-Preis 2013.

Göttingen (abe)  Die 76-Jährige zog in ihrer Dankesrede eine Bilanz ihres politischen Wirkens und warf gleichzeitig einen sehr persönlichen Blick auf die heilige Edith Stein, die prägende Jahre ihres Lebens in Göttingen verbrachte. Göttingen wiederum ist der ehemalige Wahlkreis von Prof. Dr. Rita Süssmuth. „Ich hatte als Ministerin für  Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit mehrere Angebote, mich um ein Angeordnetenmandat zu bewerben,  aber das aus Göttingen war etwas Besonderes“, erinnerte sie sich und fügte augenzwinkernd hinzu: „Im Eichsfeld musste man allerdings erst einmal prüfen, wie katholisch ich denn sei.“

Zu der Zeit, als Rita Süssmuth begann, sich für Frauenpolitik zu engagieren, war Edith Stein zwar Namensgeberin vieler Einrichtungen in der Kirche, doch ihr kritischer Geist wurde kaum gewürdigt, kritisierte Süssmuth. Sie erinnerte daran, dass Edith Stein an Papst Pius XI. persönlich schrieb, um ihn vor dem Ungeist der Nazis zu warnen – vergeblich. „Ihr Testament ist: Schaut nicht weg! Seid nicht schweigsam!“, mahnte die CDU-Politikerin. Eine Maxime, der Süssmuth  selbst immer beherzigt habe, wie Laudatorin Prof. Dr. Marianne Heimbach-Steins zeigte:  Süssmuth war Gesundheitsministerin auf dem Höhepunkt der Aids-Epidemie. Es sei ihr Verdienst, so die Laudatorin, dass gesellschaftlich über dieses Thema gesprochen werden konnte, das an zahlreiche Tabus rührte. Die engagierte Katholikin forderte auch von der Kirche, Kondome zur Eindämmung von Aids zu akzeptieren.  „Ich wurde nicht geliebt“, so ihr Fazit. „Aber das kann man auch nicht erwarten.“

In ihr Ressort fiel auch die Neuregelung des Abtreibungsrechtes nach der Wiedervereinigung. Es hat sie tief getroffen, berichtete sie, dass sie von konservativen Christen als „Mörderin“ beschimpft wurde. „Die Regelung, die wir jetzt haben, ist menschenwürdiger als vorher, aber noch nicht die Lösung“, so ihre Bilanz. Dechant Wigbert Schwarze, der ihr die Urkunde überreichte, betonte, dass ihre Haltung denen in der Kirche Mut gemacht habe, die sich für einen Verbleib der katholischen Beratungsstellen in der Schwangerschaftskonfliktberatung einsetzten. Einer Einrichtung, die von dieser Auseinandersetzung unmittelbar betroffen war, spendete Süssmuth jetzt die Hälfte ihres Preisgeldes: Der Sozialdienst katholischer Frauen erhält 2.500 Euro für die Einrichtung „Jugendhilfe am Rhons“.  Ebenfalls 2.500 Euro gehen an die Internationalen Gärten e.V. Göttingen, wo sich einheimische und zugewanderte Hobbygärtner begegnen.  

Seit der Jahrtausendwende hat Rita Süssmuth ihr Augenmerk besonders  auf das Miteinander von Deutschen und Zuwanderten gerichtet. Für sie ist, wie Marianne Heimbach-Steins formulierte, „Migrationspolitik der Testfall für die Zukunftsfähigkeit der Gesellschaft“. „Viele Frauen haben damals geglaubt: Jetzt verrät sie uns“, bilanzierte Süssmuth. Doch in ihren Augen setzt sie in diesem Politikfeld einfach den Kampf gegen Diskriminierung fort, den sie in der Geschlechterpolitik begonnen hat, denn: „Hier greifen die gleichen Muster der Diskriminierung.“ Schließlich warnte die Preisträgerin vor Selbstgerechtigkeit: „Auch als Christen sind wir nur im Vorhof der Wahrheit.“

Der Edith-Stein-Preis erinnert an das Wirken der Heiligen Edith Stein, die von 1913 bis 1915 in Göttingen lebte, vom Judentum zum Katholizismus konvertierte und 1942 in Auschwitz durch die Nationalsozialisten ermordet wurde. Seit 1995 ehrt der Edith-Stein-Kreis mit seinem Preis Persönlichkeiten, Gruppierungen und Institutionen, die sich durch Grenzüberschreitungen in ihrem sozialen, politischen und gesellschaftlichen Engagement ausgezeichnet haben. Die Auszeichnung besteht aus einer Medaille mit der Inschrift „Unsere Menschenliebe ist das Maß unserer Gottesliebe“ und einem Preisgeld von 5.000 Euro. Die vorigen Preisträger waren Landesrabbiner em. Dr. h.c. Henry G. Brandt (2011),  Sr. Karoline Mayer (2009) und die Evangelische Schwesterncommunität im Kloster Wülfinghausen (2007).