„Irgendwann sind wir Kinder auch mal dran!“

Wenn die eigenen Eltern pflegebedürftig werden, stellt das die Kinder vor eine große Herausforderung

Dass die Menschen in unserer Gesellschaft immer älter werden, ist schon lange kein Geheimnis mehr. Besonders erwachsene Kinder stellt das vor eine große Herausforderung. Sie müssen jonglieren mit vielen Bällen: ihrer eigenen Familie, ihrem Beruf und der Pflege ihrer Eltern. „Wenn die Eltern Pflege brauchen“ heißt auch das Thema der Beratungssendung „ffn-die Kirche – Hilfe interaktiv“ in Zusammenarbeit mit Caritas und Diakonie am Mittwoch, 13. Juni, von 21 bis 22 Uhr. Darin kommt die Leiterin der Caritas-Tagespflege in Duderstadt, Manuela Kunze, als Expertin in Sachen Pflege zu Wort.

Duderstadt (kpg) - „Es war ein Schlaganfall – und es war ein Schlag auch für mich“, sagt Annemarie T. Vor sieben Jahren erlitt ihre Mutter Ingeborg während eines gemeinsamen Urlaubs einen Hirninfarkt. Seitdem ist die alte Dame linksseitig vollständig gelähmt. Von jetzt auf gleich änderte sich auch das Leben der heute 68-jährigen Tochter. Sie nahm ihre Mutter bei sich auf, zog mit ihr in eine altengerechte Wohnung. „Das war nicht einfach, weil viele Wohnungen viel zu schmale Türen haben, nur Duschen mit Einstieg – also gebaut von jungen Leuten für junge Leute. Ans Alter hat keiner gedacht.“ Das zweite Problem: Die Pflege der damals 85-Jährigen organisieren. Denn zum Zeitpunkt des Schlaganfalls war die Tochter noch im Schuldienst tätig. Vor dem Umzug helfen Nachbarn aus, die Caritas-Sozialstation übernimmt die morgendliche Versorgung. Nach der Arbeit kümmert Annemarie T. sich selbst um die Pflege. „Ich selbst war psychisch sehr angeschlagen und fühlte mich wirklich überfordert.“

Ihre Mutter in einem stationären Pflegeheim unterzubringen, kam für die verwitwete Frau jedoch nie in Frage: „Sie war immer für mich da, als ich meine Kinder groß gezogen habe. Und sie hat es mir selbst vorgelebt. Sie hat ihre Mutter drei Jahre gepflegt und meinen Vater 15 Jahre. Und trotzdem war sie immer berufstätig. Ich habe also ein gutes Vorbild.“

Dennoch muss eine Lösung her, damit Annemarie T. die Pflege ihrer Mutter dauerhaft bewältigen kann. Alternativen zum stationären Pflegeheim gibt es mittlerweile einige, weiß Manuela Kunze. Sie leitet die Tagespflege-Einrichtung der Caritas in Duderstadt. „Wenn ich irgendwo einen Erstbesuch mache und der alte Mensch sagt zu mir: ‚Meine Kinder haben doch so viel zu tun und jetzt brauche ich die, aber ich will das gar nicht von ihnen verlangen‘, dann sage ich immer gern: Unsere Eltern waren jahrelang für uns da und haben alles Mögliche unternommen, dass es uns Kindern gut geht. Und irgendwann sind wir Kinder auch mal dran, das zurückzugeben.“ Neben dem ambulanten Pflegedienst der Sozialstation bietet der Caritasverband für Stadt und Landkreis Göttingen deshalb von der stundenweisen Betreuung von Senioren am Nachmittag über die Tagespflege bis hin zu seinen ambulant betreuten Wohngemeinschaften diverse Möglichkeiten für pflegende Angehörige. Eine Seniorenberatungsstelle, die Ausbildung Ehrenamtlicher zu Seniorenbegleitern, ein runder Tisch für pflegende Angehörige und finanzielle Beratung ergänzen das Angebot der Caritas. „Die Pflegeversicherung ist ein riesengroßer Dschungel, in dem man sich erstmal zurechtfinden muss“, so Kunze.

Die Lösung für Annemarie T. ist die Tagespflege-Einrichtung. Zwei Mal in der Woche holt ein Fahrdienst die heute 92-Jährige von Zuhause ab und betreut sie von 8 bis 16.30 Uhr. „Den ersten Tag habe ich wie eine Befreiung empfunden. Ich bin nach Hause gegangen, musste mich nicht kümmern und fand es wunderbar. Und dieses Gefühl der Freiheit ist geblieben. Jetzt habe ich zwei Tage in der Woche, wo ich mal ich sein kann!“

Zugleich wird Mutter Ingeborg in dieser Zeit gezielt gefördert: „Wir versuchen, die Tagesgäste in ihren Fähigkeiten, die sich noch haben, zu unterstützen“, so Manuela Kunze. Deshalb stehen täglich gemeinsames Singen und Erzählen, Gedächtnistraining und Gymnastikübungen auf dem Programm. „Ganz wichtig ist auch das Kommunizieren mit anderen“, so Kunze. „Denn viele Pflegebedürftige sind heute den ganzen Tag allein.“ Auch Mutter Ingeborg fühlt sich wohl in der Einrichtung: „Es gibt nichts Schöneres als die Gemeinschaft hier. Und außerdem habe ich doch so viel zu danken, dass meine Tochter mich aufgenommen hat.“

In Zusammenarbeit mit Diakonie und Caritas gibt es bei ffn die wöchentliche Beratungssendung "ffn - Die Kirche - Hilfe interaktiv". Darin berichten Menschen in Not aus Niedersachsen im Gespräch auf sehr persönliche Weise, wie sie in scheinbar ausweglose Situationen geraten sind. Zusammen mit Beraterinnen und Beratern der Diakonie und der Caritas werden am konkreten Fall Auswege aus der Krise beschrieben. Gleichzeitig ist während der Sendung ein Beratungstelefon geschaltet. Unter der Telefonnummer 0511 – 360 4 360 erhalten Hörer in ähnlichen Problemsituationen Auskunft zum Hilfs- und Beratungsangebot der Diakonie und Caritas in ihrer Region.

Sendehinweis: „Wenn die Eltern Pflege brauchen“ läuft in der Reihe „ffn-die Kirche: Hilfe interaktiv“; Mittwoch, 13. Juni 2012, Radio ffn, 21 bis 22 Uhr. Dort erzählt Annemarie T. ihre Geschichte, Manuela Kunze kommt als Expertin der Caritas zu Wort.