Zeit schenken und Zuverlässigkeit

Göttinger Ehepaar will ein halbes Jahr im Sozialwerk von Schwester Karoline Mayer in Chile und Bolivien arbeiten

Göttingen (kpg) – In einem Alter, in dem andere ihren Ruhestand genießen oder bereits mit den ersten körperlichen Einschränkungen zu kämpfen haben, wagen sie noch einmal etwas Neues: Im Januar werden Karl-Friedrich Braun, 71, und seine Frau Gabriele, 56, nach Chile und Bolivien reisen, um dort mehr als ein halbes Jahr lang in den Einrichtungen des Sozialwerks von Schwester Karoline Mayer zu arbeiten. Das Ehepaar und die Ordensfrau, die für ihr soziales Engagement für die Ärmsten der Armen in Lateinamerika im vergangenen Jahr mit dem Göttinger Edith-Stein-Preis geehrt wurde, verbindet eine langjährige Freundschaft.

Die Reise ist für die Brauns mehr als nur ein Abenteuer: „Wir träumen schon lange davon, in den Stiftungen von Schwester Karoline mitzuarbeiten“, sagt Gabriele Braun, die dafür sogar ihren Beruf als katechetische Lehrkraft gekündigt hat. Anfang der 70er Jahre hat Karoline Mayer, die Ordensgründerin der Schwesterngemeinschaft „Communidad de Jesús“, in Chile im Armenviertel Santiagos mit dem Aufbau eines sozialen Netzwerks begonnen. Heute gehören zu ihrem Sozialwerk verschiedene Dienste: Eine Obdachlosensiedlung, ein Berufsbildungszentrum für Jugendliche mit mehr als 10 Berufen, ein Reha-Zentrum für Drogenabhängige, Frauenbildungswerkstätten, Kindertagesstätten und als Herzstück ein Gesundheitszentrum, in dem jährlich über 20 000 Patienten kostenlos mit moderner Medizin behandelt werden. Auch in Bolivien und Peru hat Schwester Karoline, die für ihr Engagement unter anderem mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt wurde, soziale Einrichtungen gegründet. Sie selbst lebt mit den Menschen im Armenviertel von Santiago.

Im Gepäck: eine Stirnlampe und Gottvertrauen

Bereits vor drei Jahren hatten die Brauns für ein paar Wochen die Gelegenheit, die Einrichtungen des Sozialwerks persönlich zu besuchen und die Menschen, die dort leben, kennen zu lernen. Für Gabriele Braun ein prägendes Erlebnis: „Wir Europäer gelten ja immer als die reichen Geber, aber wir haben von den Menschen dort unheimlich viel zurückbekommen. Das Leben ist einfach viel reicher, als wir uns das ausmalen.“ Als führende Mitglieder des Vereins „Cristovive“ unterstützen sie zudem seit Jahren die Arbeit Schwester Karolines: zum einen durch Spenden und Öffentlichkeitsarbeit, zum anderen, indem sie junge Erwachsene für einen Freiwilligendienst in Bolivien und Chile auswählen und auf ihren Einsatz vorbereiten. „Das Ganze jetzt selbst für so lange Zeit persönlich zu erleben, ist dann sicher nochmal was ganz anderes“, ist der ehemalige Vorsitzende des Göttinger Dekanatsrates und des Arbeitskreises christlicher Kirchen in Göttingen überzeugt.

Welche Aufgaben die beiden konkret übernehmen werden, wollen sie vor Ort entscheiden. Sicher ist bislang nur, dass sie sich in Santiago im Armenviertel ein Zimmer teilen werden, in Bolivien werden sie im Büro der Geschäftsstelle von „Cristovive“ oder in einer Hütte in einem Bergdorf leben. „Vor allem können wir Zeit schenken und Zuverlässigkeit“, sagt Gabriele Braun. „Das ist für uns der wahre Luxus.“ Angst haben die beiden nicht vor der Herausforderung. „Die einzige Angst, die mich umtreibt, ist die, ob unsere Spanischkenntnisse ausreichen“, sagt der 71-Jährige. Ihre beiden Töchter sehen das allerdings anders: „Die haben beide unabhängig voneinander gesagt: ‚Ihr seid verrückt!‘“, schmunzelt er. Doch das Ehepaar ist überzeugt: Mit einer großen Portion Gottvertrauen im Gepäck kann gar nichts schief gehen. Zu Weihnachten haben die beiden deshalb auch nur einen Wunsch: eine Stirnlampe. „Denn wir können nicht davon ausgehen, dass wir überall Strom und Licht haben.“

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